Auch heute gehe ich dankbar aus einem intensiven Gespräch hervor – einem weiteren Dialog mit meinem besten weißen Freund über Antirassismus. Seitdem ich etwa die Hälfte von Tupoka Ogettes Buch „Und jetzt du. Zusammen gegen Rassismus“ gelesen habe, fühle ich mich sprachlich sicherer in solchen Diskussionen. Auch dieses Buch habe ich gelesen, bearbeitet, mir viele Gedanken gemacht, Gespräche geführt. Und mich anschließend in ihrer Akademie angemeldet.
Dennoch blieb ich in Diskussionen oft sprachlos handlungsunfähig. Ratlos. Nicht ausdrucksstark. Machtlos. Nicht selten sprachen wir am Ende über die Gefühle meiner Freund*innen, wenn es zuvor um Rassismus ging. Ebenso häufig erlebte ich, dass Kolleg*innen die Art und Weise nicht gefiel, wie ihnen Wissen über Rassismus vermittelt wurde. Nicht selten stellte ich mir nach solchen Gesprächen Fragen wie „Wie intiiere ich ein Antirassismus-Gespräch, das nicht eine Abwehrhaltung auslöst?“, „Wie gelingt es mir, ein gutes Gespräch über Anti-Rassismus zu intiieren, in dem nicht Menschen plötzlich von ihren Diskriminierungen erzählen?“ oder „Wie verhalte ich mich, wenn ich plötzlich die Böse bin, nachdem ich Rassismus angesprochen habe?“
Wie wirkmächtig all diese Strategien sind, ist mir erst bewusst geworden, als ich mehr und mehr solcher Gespräche geführt habe. Dinge, die passieren, wenn ich das böse R-Wort in den Mund nahm, waren plötzlich nicht mehr nur die Ausnahme, sondern die Regel.
Was all dies genau im Detail ist und wie man das benennt, verstehe ich erst so richtig, seit ich Tupokas Buch gelesen habe. Im Einzelnen waren mir diverse Mechanismen schon bekannt, aber die Aneinanderreihung in diesem Buch war für plötzlich ein Aha-Erlebnis. Denn sie zeigten mir, dass diese eben immer und immer wieder und sogar in Summe in nur einem Gespräch aufkommen können.
Und nun ergab auch der Titel des Buches für mich Sinn. Wieso das Wort „Zusammen“ erst jetzt gewählt wurde. Dass wir „Zusammen gegen Rassismus“ sein können, setzt voraus, dass wir uns zunächst mit unserer eigenen Sozialisierung auseinandersetzen. Und dies führte eben auch bei mir zur Erkenntnis, dass ich zuvor selbst diese Abwehrmechanismen, die ich heute in meinem Umkreis erlebe, aktiv eingesetzt habe. Aktiv, weil es mir unangenehm war. Weil ich doch nicht rassistisch sein konnte. Weil ich es doch gut meine.
Ohne diese Dekonstruktion – ohne anzuerkennen, dass Rassismus ein institutionelles, historisches und systematisches Geflecht ist – bleiben wir in individuellen Schuldzuweisungen stecken.
Ein verbreiteter Trugschluss ist die Annahme, eine passive Ablehnung von Rassismus („Ich bin dagegen!“) genüge. Wie Ogette treffend formuliert, wird diese Haltung oft zum „[…] Freifahrtschein für alles, was danach gesagt oder getan wird […]“. Sie verleitet zur Überzeugung, man könne als „guter Mensch“ keine rassistischen Muster reproduzieren – ein Irrglaube, der Debatten bereits im Ansatz erstickt.
Das musst ich auch erst einmal sacken lassen. Und die Einsicht war ein schmerzhafter Prozess. Was ich lernen musste, war, zuzugeben, dass ich trotz klarer antirassistischer Haltung rassistische Strukturen reproduziert habe. Unangenehm. Einfach unangenehm.
Ich habe insbesondere dann reproduziert, wenn ich meine Intension der Wirkung über gestellt habe. Reproduziert, weil ich ja moralisch nicht verwerflich bin, ich handle ja schließlich nicht bösartig. Und reproduziert, weil ich rassistische Erfahrungsberichte unter individueller Erfahrung abgespeist habe.
Aber Rassismus ist eben mehr als das: Rassismus ist auch die tiefe gesellschaftliche Sozialisierung. Institutionell, systematisch und historisch.
Wenn wir weiße Menschen Menschen über ihrer rassistische Erfahrung sprechen hören, dann denken wir oft, dass das eine individuelle Erfahrung ist. Doch diese Erfahrung wird immer und immer wieder gemacht – und das wichtige ist dabei: man kann sich nicht entscheiden als BIPoC, wann man diese Erfahrung macht. Als weißer Mensch dagegen hast du das Privileg, dich entscheiden zu können, wann du dich mit Rassismus auseinander setzt und wann nicht.
Wenn wir weiße Menschen Menschen über ihre rassistische Erfahrung sprechen hören, dann sagen wir auch oft, „es war ja nicht so gemeint“ oder „meine Intention war aber eine ganze andere“. Ja, das mag sein, nichts desto trotz sorgt das aber in einem Gespräch für zwei Dinge: Erstens, der Fokus wird wieder auf deine, die weißen Gefühle gelenkt und zweitens, wir stellen Absicht über Wirkung. Ogettes Fuß-Metapher verdeutlicht dies: Ob jemand absichtlich oder unabsichtlich über einen Fuß fährt – der Schmerz bleibt gleich. Die Wirkung ist entscheidend, nicht die Motivation.
Wenn wir weiße Menschen Menschen über ihre rassistische Erfahrung sprechen hören und dies unabsichtlich geschehen ist, dann war das ja zwar moralisch vielleicht nicht optimal, aber dennoch nicht verwerflich, weil es ja nicht bösartig war. Die Bösartigkeit hinter dem Geschehenen ist die Voraussetzung für die moralische Bewertung. Und kaum einer würde sich wohl freiwillig als moralisch verwerflich darstellen.
All diese Themen legte ich heute mit meinem besten Freund in einem Gespräch auf den Tisch. Und es war ein verdammt gutes Gespräch. Weil wir beide nachgedacht. Zugehört. Voneinander gelernt und anerkannt haben. Wir haben zugehört und geglaubt. Wir haben uns gegenseitig über unsere Gefühle informiert. Wir haben gesagt, dass es weh tut. Unbehagen bereit. Und einen inneren Konflikt verursacht. Und das das unangenehm ist, auszuhalten.
Und dafür bin ich verdammt dankbar. Für einen weißen männlichen Freund, der versteht, was und wie seine Worte eine Auswirkung haben können. Der versteht, dass es in Ordnung ist seine weißen Gefühle auch zu berichten, aber damit nicht abzulenken. Der versteht, was „What Aboutism?“ ist und „Derailing“. Der versteht, dass mir der Kampf für ein anti-rassistisches Leben wichtig ist. Der sich Zeit nimmt. Der mir zuhört. Und nichts anderes wünsche ich mir manchmal: Das weiße Menschen, bevor sie in Erklärungsversuche, in Verteidigung, in die Beschreibung ihrer Absicht, in Ablenkung verfallen, durchatmen. Aushalten. Verstehen. Anerkennen. Glauben.
Denn damit wird die Welt für mich und meinen Partner ein klitzekleines bisschen leichter. Weniger schwer. Hoffnungsvoller.