In einem historischen Text, den wir in einem Seminar in der Kriminologie, besprachen, wurde das N-Wort genutzt. Eine Kommilitonin bat darum, vor der Verwendung solcher Begriffe gewarnt zu werden. Meine Reaktion war: „Wer keine Originalbegrifflichkeiten abkann, sollte nicht Kriminologie studieren.“ Ich war wütend und genervt.
Heute blicke ich auf diese Situation mit neuem Wissen zurück und schäme mich. Mittlerweile habe ich gelernt, dass Schuld und Scham, wenn man seine eigene rassistische Sozialisierung aufarbeitet, dazu gehört.
In dem Seminar, in dem wir die Theorien von Cesare Lombroso behandelten, wurde in einem historischen Text das N-Wort verwendet. Es wurde in voller Schreibweise und Länge abgebildet und nicht zensiert, ebenso wenig fand eine historische Einordnung statt. Diese Merkmale waren jedoch höchst spekulativ und hatten keinerlei wissenschaftliche Grundlage. Seine Beiträge sollten später den Nationalsozialisten später als Grundlage für ihre rassenbiologischen Theorien dienen.
Meine Reaktion löste viele Reaktionen aus – sowohl Zustimmung, als auch Ablehnung, sowie der Vorwurf unsensibel zu sein. Was wiederum dafür sorgte, dass ich reflexartig in eine Abwehrhaltung verfiel. Es folgte eine hitzige Debatte, in der ich innerlich absolut davon überzeugt war, dass ich doch eine total anti-rassistische Haltung habe und ich doch nicht die böse sei, sie nur viel zu sensibel.
Erst einige Jahre später verstand ich, dass das Teil meiner Abwehrhaltung war, nicht als Rassistin, dazustehen. Und auch erst einige Jahre später verstand ich, dass Wut eine häufige Reaktion ist, wenn auch nur im Ansatz das Risiko besteht als Rassist*in zu gelten.
Auch erst einige Jahre später verstand ich, wieso weiße Menschen das N-Wort weder ausschreiben, noch nennen sollten.
Heute finde ich meine Reaktion absurd. Heute verstehe ich, dass man mich vermutlich nicht als ganze Person als Rassistin sah, sondern man in einem Moment eine rassistische Aussage von mir kritisierte. Aber es brauchte fast fünf Jahre für mich, in denen ich lernte das zu verstehen.
Es war das Buch exitRacism von Tupoka Ogette, dass mir half zu verstehen, warum ich in vielen Momenten, wenn es um Rassismus ging, emotional reagierte – mit Wut. Sie fand Worte, die mir bisher fehlten – und mir wurde klar, dass meine Art und Weise vor vielen Jahren in diesem Seminar zu reagieren, der Art und Weise entspricht, wie viele weiße Menschen reagieren, wenn sie mit rassistischer Kritik konfrontiert werden.
Mir wurde klar, dass Wut und Empörung nicht selten, sondern häufig sind. Dass die Verteidungshaltung normal, nicht die Abweichung ist. Dass das Negieren der Standard, nicht die Ausnahme ist.
Der Wut und Abwehr folgte meine Empörung, danach Scham und dann die schuldhaften Gefühle. Auch damit bin ich nicht alleine. Auch das ist etwas, das eine häufige Reaktion weißer Menschen ist.
Es gibt mittlerweile verschiedene wissenschaftliche Theorien, die das Abwehrverhalten weißer Menschen erklären, wenn sie mit rassistischer Kritik konfrontiert werden. Eine der bekanntesten ist das Konzept der „White Fragility“ (weiße Fragilität) von Robin DiAngelo.
Ein Teil meiner Reise ist es, Rassismus anzuerkennen und die Fähigkeit zu erlangen, meine eigene Sozialisation kritisch zu analysieren und zu reflektieren. Erst nach vielen Jahren wurde mir klar, dass das Anerkennen von Rassismus als System grundlegend und zugleich wichtig für dessen Dekonstruktion ist.
Auch wenn ich heute an einem anderen Punkt stehe, bedeutet das nicht, dass ich nicht immer wieder in alte Muster zurückfalle. Immer wieder spüre ich Wut, bin verärgert und fühle mich schuldig. Mittlerweile habe ich jedoch gelernt, dass diese Emotionen nicht die Verantwortung meines Gegenübers sind. Mittlereile habe ich gelernt, dass ich sensibel reagieren kann. Ich habe mittlerweile gelernt, als erstes zu akzeptieren, was mein Gegenüber sagt. Ich streite es weder ab, noch verteidige ich mich. Ich höre zu.
Natürlich gelingt mir das nicht immer perfekt. Je nach Tagesform kann ich mal einfühlsamer, mal weniger einfühlsam reagieren. Auch das versuche ich dann transparent zu machen. Bei Menschen, die mir nahestehen, kann ich mittlerweile sagen: „Ich fühle mich gerade unglaublich schuldig“ oder „Das macht mich gerade so wütend, ich kann im Moment nicht gut reagieren und möchte das Gespräch später fortsetzen.“
Dabei möchte ich diese Gefühle nicht zum Mittelpunkt machen – der Ausdruck meiner Gefühle soll lediglich ermöglichen, das Gespräch zu pausieren, damit ich meine Emotionen regulieren und Verantwortung für mein Handeln übernehmen kann. Ich versuche darauf zu achten, dass die eigenen Gefühle und Perspektiven nicht das Gespräch dominieren. Ich möchte es zukünftig Schaffen, den Raum für die Erfahrungen und Stimmen von Betroffenen offenzuhalten.